Notizen / Bilder zu Bartholsen Amalie:
Artikel Flensburger Tageblatt vom 29.03.2010:Fünf Generationen Stadtgeschichte
Vor 100 Jahren kam Engelsby zu Flensburg: Da war Amalie Böge schon zwei Jahre alt / Und seit zehn Tagen hat die Dame einen Ururenkel:
Seit 102 Jahren lebt Amalia Böge in der Engelsbyer Straße. Im Dezember werden es 103. Dann hat die Dame mit den himmelblauen Augen Geburtstag. Auch ihre Geburt geschah im Elternhaus in derselben Straße. Ihr Vater besaß eine Schmiede in der Nummer 75. Ein altes Bild zeigt, wie Amalia Böge mit ihrer jüngeren Schwester vom verschnörkelten Balkon auf die schuftenden Herren im Hof blickten. "Das waren gute, harte Zeiten“, sagt sie. "Wir sind morgens um 4 Uhr Holz schlagen gegangen“, erzählt sie und dass damals die gesamte Nachbarschaft "Twedter Holz“ hieß, wo heute der Plack sei und "dergleichen Straßen“. Als Kinder hätten sie viel auf der Straße gespielt – Schlagball und mit Puppen. Und: "Meine Schwester und ich mussten helfen.“
Amalia Böge erinnert sich daran, wie sie mit Schwester und großem Blockwagen Toiletteneimer für die Zollhäuser nach Pattburg über Harrislee brachten. Himbeerbonbons versüßten den stundenlangen Fußmarsch. "Ich kenne es nur, wie alles noch nicht bebaut war“, sagt die freundliche Frau und, dass der viele Verkehr gerade den Älteren missfalle. Ihrem Vater soll ein großes Grundstück gehört haben, wo heute die Nordstraße den Schottweg streift. Engelsby sei erst 1910 zur Stadt gekommen, und das Rote Haus gegenüber der Böges wurde zum Rathaus. "Wir sind nur nach Flensburg, wenn wir einkaufen mussten“, blickt Böge zurück. Ungeduldig wie ein Teenager durchwühlt sie einen Photokarton. Sie weiß, wonach sie sucht und wovon sie redet, ordnet mit fester Stimme Erlebnisse den Jahreszahlen und den Namen Verwandtschaftsbeziehungen zu, als hätte die Zeit vergessen, ihr Gedächtnis anzukratzen.
Ihre Enkelin Heike Krühl, Jahrgang 1962 und eine große Hilfe für die Dame, stöbert mit Lesebrille parallel durch eine weitere Kiste. Oma Böge kann das ohne und erzählt: Erst hatte sie Konfirmation, dann kam die Inflation. Tatsächlich bewahrte sie Millionen- und Billionenbanknoten von 1923. "Damals habe ich keine Lehre als Schneiderin gefunden.“ So besuchte sie mit 18 die Haushaltungsschule im Klostergang: "Dort habe ich Nähen und Kochen gelernt.“ Enkelin Krühl gerät ins Schwärmen, lässt sich in Gedanken die selbst gemachten Brötchen mit Erdbeermarmelade von Früchten aus dem Garten auf dem Gaumen zergehen und die Milchsuppe mit Sahne und Nudeln.
In Anstellung habe Amalia Böge Schneiderarbeiten erledigt, 1936 für 30 Marinesoldaten der Torpedosschule gekocht. Später habe sie drei Dekaden lang die Kirchengemeinde umhegt für die Frauenhilfe und sei mit Petuh aufgetreten. "Viel Arbeit und frische Luft“ fallen der 102-Jährigen als Zutaten für ihr Rezept eines langen Lebens ein. Gern sei sie im Auto an den Kanal gefahren, auch mal nach Schweden, noch lieber nach Kiel-Holtenau. Heute wurmt sie, dass sie im Rollstuhl sitzen muss. Doch ihre Familie stützt sie und bleibt in der Nähe. Und ihrem Ururenkel Nilo hat sie noch viel zu erzählen.
Antje Walther
"Wandelndes Geschichtsbuch“: Das sagt Enkelin Heike Krühl (2.v.r.) über ihre Oma Amalia Böge (Mitte), die ihren Ururenkel Nilo Krühl (zehn Tage alt, 3640 Gramm, 52 Zentimeter) im Arm wiegen möchte, während sie Rollstuhl fährt – wenn's Urenkelin Katharina Krühl (l., 21) erlaubt; Klaus Böge (r.) – Opa, Sohn, Vater der übrigen Damen (v.l.) – wohnt nebenan in der Engelsbyer Straße... Foto: Dewanger.